Das Buch „Kim Nowak badete nie im See von Genezareth“ von Håkan Nesser ist langsam erzählt und setzt einige Elemente ein, um dennoch Spannung zu erzeugen. Ob das funktioniert und wenn ja, wie, darüber scheiden sich die Geister. Neugierig geworden? Dann hör rein in unsere 10. Folge.
Das Buch erzählt die Geschichte des 14-jährigen Erik und seines Sommers im Jahr 1962, den er mit seinem Freund Edmund und seinem älteren Bruder Henry in einem Ferienhaus verbringt. Die unbeschwerten Tage werden von einem mysteriösen Mord überschattet, der das Leben der Jungen tiefgreifend beeinflusst und von dem Erik rückblickend als Erwachsener erzählt. Das Buch ist eine Mischung aus Coming-of-Age-Roman und Krimi, in dem Themen wie Schuld, Verlust und das Erwachsenwerden im Mittelpunkt stehen.
Wenn der jugendliche Blick auf Grausamkeit trifft
Wie Scout in Wer die Nachtigall stört von Harper Lee oder die vier Jungs aus Stephen King’s Die Leiche betrachtet auch der vierzehnjährige Erik aus diesem Buch eine grausame Sache aus der unschuldigen Perspektive der Jugend.
Der Mord, der spät im Roman stattfindet, dient als Zäsur und leitet eine Veränderung im Charakter des Protagonisten ein. Die Ereignisse vor, während und nach der Tat werden nüchtern beschrieben. Da wird keine Bewertung, keine vorherige Erfahrung eingewebt – nur der Blick eines Jungen, der zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert wird.
Auf der einen Seite wirkt dies erschreckend, denn wir sind es nicht gewohnt, dass solche Themen derart betrachtet werden. Es kann mitunter wie Gleichgültigkeit wirken. Auf der anderen Seite erlaubt uns die Perspektive von Erik, die Dinge mit neuen Augen zu sehen.
Warten auf „Das Schreckliche“
Ein „Hook“ ist eine aufgeworfene Frage oder ein interessantes Detail, das am Anfang einer Geschichte den Leser packt und dazu bringt, weiterlesen zu wollen. Der Autor Håkan Nesser hat hier einfach einen kleiner Ausblick auf ein Geschehnis in der Mitte des Romans genommen und angeteasert. Er hat „foreshadowing“ (das Andeuten von Ereignissen, die kommen werden) als Hook verwendet.
Obwohl die erste Hälfte des Buches aus sehr langsam erzählter Exposition besteht, wird Spannung aufgebaut, indem schon auf der ersten Seite von „dem Schrecklichen“ erzählt wird, das diesen Sommer geschehen wird. Worum es sich dabei handelt, erfährt man erst viel später. Und doch zieht sich die Frage als spannungserzeugendes Element im Hinterkopf durch die Geschichte durch.
Ob und wie gut dieser Kniff funktioniert, bleibt jedem selbst überlassen. Er hat seine Wirkung getan, war jedoch auch leicht zu durchschauen. Wir fanden, dass die Aussicht auf das unbekannte „Schreckliche“ nicht unbedingt kräftig genug war, um das Interesse aufrechtzuerhalten.
Ein offenes Ende kann das Genre verändern
Der Roman schließt mit einem offenen Ende. Die Frage, wer den Mord begannen hat, wird nicht eindeutig geklärt. Hieraus ergibt sich eine spannende Genrethematik: denn je nach Genreerwartung verändert das Ende die Wahrnehmung einer Geschichte.
Wäre das Ende nicht offen und man würde erfahren, wer der Mörder ist, hätte man es eher mit einem Kriminalroman zu tun. Eine Frage wird gestellt und aufgelöst.
Da in diesem Roman aber nicht eindeutig geklärt wird, wer den Mord begannen hat, verlagert sich der Fokus auf die handelnden Charaktere und ihre Beziehung.
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